Innerhalb von zweitausend Jahren entstand im Herzen Europas eine vielfältige Kultur, die in der Europäischen Kulturgeschichte ihresgleichen vergeblich sucht: Die des europäischen Judentums.
Schon mit der Zerstörung des ersten Tempels im Jahr 586 v.Chr. und dem darauffolgenden babylonischen Exil bildete sich die erste starke Diasporakultur der Juden heraus: Des Tempels als Zentralheiligtum beraubt bildeten sich erste Synagogengemeinden, die Überlieferungen der Thora wurden kanonisiert und kodifiziert und die Ursprünge für das zweite heilige Buch der Juden, den Talmud werden mit der Herausbildung der Mishna gelegt.
Hernach immer wieder wechselnde Besatzungsmächte von den Babyloniern über die Perser bis hin zu den Römern ließen im Laufe der Zeit viele Juden Palästina verlassen und sich im Mittelmeerraum und bis tief nach Persien hinein entlang der üblichen Handels- und Heereswege niederlassen, wo sie Synagogengemeinden gründeten und Handelsbeziehungen knüpften. Die bedeutendsten Diasporagemeinden der Antike finden sich in Antiochia, Ephesus, Korinth, Rom und Babylon. Trotz der Zerstreuung brachen die Kontakte nach Palästina und Jerusalem durch Zugehörigkeitsgefühl zur Tradition und zum Zentralheiligtum und durch verwandtschaftliche Beziehungen über die Jahrtausende nie ab. Die Traditionen der Wallfahrten nach Jerusalem zu den Festen Pessach, Schawuoth und Sukkoth und das Sammeln von Spenden für den Wiederaufbau und Erhalt des Tempels und für die Jerusalemer Gemeinde sind fester Bestandteil jüdischer Glaubenspraxis bis heute.
Einen neuen großen Auswanderungsstrom aus Palästina brachte die Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70 n.Chr. mit sich. |
Wachsende religiöse und politische Spannungen führten mit der Zerstörung des Tempels, der Belagerung von Massada (73 n.Chr.) und der Zerschlagung der Aufstände unter Bar Kochba (132-135) zur größten nationalen Katastrophe und endete letztlich mit Flucht und Vertreibung aus Palästina.
Diese beiden nationalen Katastrophen der Tempelzerstörungen führten im Laufe der Zeit zur Dezentralisierung des mosaischen Glaubens. Infolge der ersten Synagogengründungen in Palästina bildete sich das Rabbiner- und Schriftgelehrtentum heraus, damit wiederum verbunden ist die schon oben erwähnte schrittweise Kanonisierung und Kodifizierung der Schriften und des Rechtes. Seit dem ausgehenden 2.Jhdt. n.Chr. kommt es durch die Exilssituation zur Sammlung der Schriftauslegungen und rabbinischen Kommentare in der Mishna und Gemara, die zusammen den Talmud bilden. In ihnen ist die gesamte jüdische Gelehrsamkeit in großenteils scharfer Dialektik zusammengefaßt. In dieser Weiterentwicklung der Gelehrsamkeit und Religion ist die große Widerstandskraft des Judentums durch Verbannungen und Verfolgungen zu allen Zeiten begründet. |